"Hate Radio"

ein Beitrag von Jürgen Hansen für „titel,thesen,temperamente“ (ARD 4.12. 2012)

Ein Volk. Ein Radio. Eine Millionen Tote. Ruanda 1994.

"Tötet diese Kakerlaken nicht mit einer Kugel. Hackt sie in Stücke." Dieser unverblümte Mordaufruf, wirksam zwischen Popmusik und Wetterbericht über den Radiosender RTLM verbreitet, steht für den unfassbaren Massenmord in Ruanda. Der Schweizer Theatermacher Milo Rau hat die finsteren Tage vom Frühsommer 1994 wieder lebendig gemacht, als in Ruanda knapp eine Millionen Tutsi von aufgehetzten Hutu-Milizen brutal ermordet wurden. Vor wenigen Tagen gab es die Vorpremiere am Originalschauplatz, im Genozid-Museum in Kigali.






Regisseur Milo Rau

Das Mikrophon als Mordinstrument
Die hasserfüllte Stimme aus dem Radio - im Spielfilm "Hotel Ruanda" zieht sie sich wie ein roter Faden dich die Handlung. Der Film zeigt, wie ein Radiosender den Genozid anpeitschte. Das Hollywood-Kino adaptiert eindrucksvoll, was 1994 in Ruanda geschah: Fast eine Million Menschen wurden von Hutu-Banden abgeschlachtet. In einem Land, in dem großteils Analphabeten lebten und fast niemand einen Fernseher hatte, wurde der Hass im Radio propagiert. Valérie Bemeriki war Moderatorin des Senders RTLM. Heute verbüßt sie in Kigali eine lebenslange Haftstrafe. Sie zeigt weder Einsicht noch Reue: "Man kann mich ruhig beschmutzen, indem man mir Dinge unterstellt, die ich nicht gesagt habe", sagt Bemeriki. "Ich habe ein Buch gesehen und auf dem Titelbild war ein Foto von mir mit roten Flecken, um damit zu sagen: ‚Mörderin‘. Das hat man darauf getan. Rote Flecken und dazu noch eine Machete. Aber das ist nicht wahr. Ich habe niemanden getötet. Ich habe das Mikrofon benutzt."






Verbüßt in Kigali eine lebenslange Haftstrafe: die ehemalige Radio-Moderatorin Valérie Bemeriki

Die Machete in der Hand und das Radio am Ohr
Der Regisseur Milo Rau recherchierte für sein Theaterprojekt "Hass Radio" in Ruanda. Er traf Überlebende und Mörder von damals. Er sprach auch mit der Ex-Moderatorin Bemeriki im Gefängnis, um mehr über Mordaufrufe und Hetzkampagnen des Radios zu erfahren. Tausende Dokumente wurden gesichtet. Im Stück "Hass Radio", das nun auch in Europa gastiert, steckt die akribische Recherche des Regisseurs Milo Rau. "Dieser Sender hat als Propaganda-Instrument extrem intelligent funktioniert. Die haben nicht einfach platte Propaganda gemacht und irgendwelche politischen Pamphlete ausgestrahlt, sondern sie haben Musik gespielt, sie haben Scherze gemacht", sagt Rau. "RTLM hat jeder gehört, in jeder Hütte, über das ganze Land verteilt. Was da gesagt wurde, wurde als Tatsache angenommen. Man kann alles Mögliche machen und dazu Radio hören. Für Ruanda gilt das einfachste Beispiel: Links die Machete in der Hand und rechts das Radio am Ohr."






Entkam nur durch einen Zufall und spielt nun in dem Stück mit: Dorcy Rugamba

Aufarbeitung statt Versöhnung

Entstanden ist ein dokumentarisches Theaterstück. Milo Rau ließ das Studio originalgetreu nachbauen. Jeder Satz auf der Bühne wurde genau so gesagt. Die Schauspieler trinken, machen Witze und Hetzen. So wie 1994. Vor wenigen Tagen hatte das Stück Deutschland-Premiere in Berlin. Milo Rau gelang eine beklemmende Re-Inszenierung der Wirklichkeit: Hassparolen und Popmusik waren der Soundtrack für den Genozid, zu dem der Sender die Hutu-Banden aufstachelte. Diese Gräuel schildern die Schauspieler in einer Video-Installation, die zu Beginn des Stücks auf das Bühnenbild projiziert wird. Einer der Akteure beschreibt wie brutal die Menschen damals hingerichtet wurden: "Einer unserer Nachbarn, er hieß Juvénal, schrie ihm zu, dass die Frau schwanger sei. Dann schlitzte der Mann ihr mit der Machete den Bauch auf. Er ließ sich Zeit und öffnete ihn schön sorgfältig, so wie man eine Tasche öffnet." Der Schauspieler Dorcy Rugamba entkam nur durch einen Zufall. Fast seine ganze Familie wurde in den ersten Stunden des Genozids ermordet. Versöhnung mit den Mördern kann es nicht geben, meint er: "Ich bin in Butare aufgewachsen. Ich verbrachte dort meine Kindheit und Jugend. Sie ist die vom Genozid am stärksten betroffene Stadt. Als ich wieder nach Butare kam, wurde mir bewusst, dass ich in dieser Stadt fast niemanden mehr kannte. Alle waren tot", sagt Ragamba. "Es gibt Leute, mit denen man sich nicht versöhnen kann. Ich habe zum Beispiel kein Interesse, die Studien-Kameraden zu treffen, die zu Mördern wurden. Denn ich weiß, dass wir uns nichts zu sagen hätten."








Nancy Nkus spielt ebenfalls in dem Stück "Hate Radio" mit.

Diese Wahrheit muss wehtun

Aufgeführt am Originalschauplatz, ging das "Hass Radio" in Kigali vor wenigen Tagen noch einmal auf Sendung; wie 1994 mit Hetztiraden und konkreten Mordaufrufen. Anrufer meldeten, wohin Tutsis geflüchtet sind. "Jagt sie!", brüllten die Moderatoren. Das Stück am Originalsschauplatz zu inszenieren war keine leichte Aufgabe, berichtet die Schauspielerin Nancy Nkus. "Wir hatten große Angst, das Stück aufzuführen. Also, ich hatte auf jeden Fall Angst. Vor allem, es in Ruanda zu spielen. Vor Menschen, die direkt betroffen waren", sagt sie. "Wir wurden mit Fragen konfrontiert: 'Wollt ihr Hass schüren?' 'Warum muss immer, immer wieder davon geredet werden?' Aber als wir es dann aufgeführt haben, sahen die Menschen, wie nützlich das war. Es ging nicht darum, Hass zu propagieren." Zuschauer schlugen vor, aus dem ehemaligen Studio eine Gedenkstätte zu machen. Viele wüssten nicht mehr, dass der Sender dort das Töten propagiert hat. Hutus und Tutsis? Diese Unterscheidung ist inzwischen verboten. Einmal im Jahr wird der ermordeten Tutsis gedacht. Ansonsten will Ruanda in die Zukunft schauen. Die Schauspielerin Nancy Nkusi ahnt, dass das Projekt "Hass Radio" nur der Anfang der Aufarbeitung sein kann: "Manchmal frage ich mich, wie Menschen die schrecklichsten Massaker, die man sich vorstellen kann, verüben konnten. Es ist wichtig, das zu verstehen. Obwohl man es nicht begreifen kann. Aber es ist passiert", sagt Nkusi. "Und diese Wahrheit muss man sich um die Ohren hauen lassen, um zu begreifen, was geschah. Das tut weh. Aber es ist notwendig."


Ein Beitrag von Jürgen Hansen.


                              

prospect tv production 

Erkelenzdamm 9   10999 Berlin  tel: +49 - 177 - 645 4960

13, rue de la ville  34700 Soubès  France  tel: +33 - 467 969846

prospect (at) prospecttv (dot) de