"Folter durch Musik"

ein Beitrag von Jürgen Hansen und Simone Stripp für „3sat kulturzeit“ (6.10. 2008)

Musik als Folter - Bands wehren sich gegen den Missbrauch ihrer Songs










David Gray wehrt sich dagegen, dass seine Musik als Folter benutzt wird


Britische Musiker und die Menschenrechtsorganisation "Reprieve" haben die Initiative "Pull the Plug on Torture" gestartet. Sie wehren sich dagegen, dass in Guantanamo, Abu Ghraib und anderen Verhörzentren der US-Amerikaner Musik zur Folter eingesetzt wird. Im Internet kursiert sogar eine Liste mit den angeblich beliebtesten Folter-Stücken, "Guantanamo Greatest Hits" genannt, denen Gefangene ausgesetzt werden. Jetzt formiert sich unter britischen und einigen US-amerikanischen Musikern, deren Musik zur Folter missbraucht wird, Widerstand.


"Wenn man Leuten erzählt, dass man mit Musik gefoltert wurde, lachen sie dich aus", sagt Ruhal Ahmed, ehemaliger Guantanamo-Häftling. "Denn das hört sich so pathetisch an. Wenn ich nicht in Guantanamo gewesen wäre, und mir jemand, der da war, erzählen würde, er wäre mit Musik gefoltert worden, würde ich auch denken: Wie kann Musik Folter sein?" Ohrenbetäubende Musik, Schläge, schmerzhaft verdreht am Boden festgekettet - und das über Tage: So sieht eine "Standard-Verhörmethode" in vielen US-Geheimgefängnissen aus.


"Du kannst nicht mehr klar denken"

"Nachdem sie die Musik-Folter eingeführt hatten, konnte man nicht mehr denken", so Ahmed. "Die Musik war so laut in den Ohren. Das einzige, was man hörte, war Hämmern. Nach einer Weile sehr lauter Musik ist es keine Musik mehr. Es wird nur noch Lärm." Ruhal Ahmed reist Ende 2001 mit Freunden nach Pakistan. Aus Naivität überqueren sie die Grenze nach Afghanistan. Sie geraten zwischen die Fronten und werden festgenommen. Was folgt, ist ein Albtraum in US-amerikanischen Gefangenenlagern in Afghanistan und schließlich der Abtransport nach Guantanamo. Ohne Anklage, ohne Beweise, werden sie dort zweieinhalb Jahre festgehalten und misshandelt. Ihre Geschichte erzählt der Film "Road to Guantanamo".








Ruhal Ahmed


"Du fängst an, dir Dinge einzubilden, zu halluzinieren", berichtet der Ex-Häftling. "Du kannst nicht mehr klar denken, dich auf etwas konzentrieren, um dich vom Schmerz abzulenken." Death Metal und Heavy Metal ist die bevorzugte Musik US-amerikanischer Verhörspezialisten. Die Musikauswahl ist dabei häufig willkürlich, je nach Geschmack der jeweiligen GIs. Gefangene und ehemalige US-Soldaten berichten von regelrechten Hitlisten. Eminem steht dabei ganz oben. Sogar Kinderlieder werden in Loops tagelang immer wieder gespielt.


"Ihre innerste Intimsphäre, ihr Denken wurde angegriffen"

In London kümmert sich eine medizinische Stiftung um Folteropfer aus der ganzen Welt. Musik-Folter wird hier genauso ernst genommen wie körperliche Folter. "Menschen, die lauter Musik ausgesetzt wurden, können psychologische Störungen entwickeln", sagt Dr. William Hopkins von der "Medical Foundation for the Care of Victims of Torture". "Sie verlieren das Gefühl für sich selbst. Denn ihre innerste Intimsphäre, ihr Denken, wurde angegriffen, ohne sich dem entziehen zu können. Sie verlieren die Kontrolle über ihre Umwelt. Psychologisch nennt man das 'erlernte Hilflosigkeit'. Das kann zu völliger Hoffnungslosigkeit führen und dem Gefühl, sich nicht gegen die Folter wehren zu können. In extremen Fällen führt das zu Psychosen."


Nahezu systematisch wurde das Metallica-Stück "Enter Sandman" eingesetzt - ein zweifelhafter Ruhm. Vielen Musikern ist es jedoch egal, dass ihre Musik zur Folter eingesetzt wird. Der Sänger der Heavy-Metal-Band Metallica, James Hetfield, sagt: "Folter durch Musik? Hm, ich musste viele Jahre lang Radio hören und wurde damit gefoltert. Ich will nicht, dass es aufhört. Ein Teil von mir ist sogar stolz. Hey, sie haben Metallica ausgewählt, als etwas, das die beeinflusst." Naiv oder gleichgültig? Der Brite David Gray ist einer der wenigen Musiker, der sich offen dagegen wehrt, dass seine Musik zur Folter benutzt wird. Er vermutet zynisches Marketing-Kalkül bei der Zurückhaltung anderer Musiker, die nicht unpatriotisch im Kampf gegen den Terror wirken wollen.


David Gray wehrt sich gegen Missbrauch seiner Musik

Bei der Aufdeckung des Abu Ghraib-Skandals sah David Gray sich damit konfrontiert, dass ausgerechnet sein eher sanftes Stück "Babylon" dort benutzt wurde, um gefangene Iraker zu quälen. "Ich war schockiert", sagt Gray. "Ich habe davon vor einigen Jahren erfahren, als es durch eine Dokumentation ans Licht gebracht wurde. Mein Lied wurde wahrscheinlich gewählt, weil Babylon im Irak ist. Und irgend jemand stellte eine Verbindung her: Hey, lasst uns dieses Musik-Stück nehmen. Mich interessieren nicht die unterschiedlichen Klassifizierungen, was Folter ist und was nicht. Man muss es weiter gefasst sehen. Es geht doch um die ganzen illegalen Verschleppungen. Die Tatsache, dass unsere Regierungen dabei zusammenarbeiten, die US-Amerikaner und die Briten. Es geht um die Gefangenentransporte, darum, dass dies außerhalb jedes juristischen Prozederes geschieht. Da gibt es das so genannte Waterboarding. Sie nennen es 'härtere Verhörmaßnahmen'. Aber es ist Folter, egal, wie man es dreht. Sie wollen die Leute verrückt machen, sie brechen."







Chloe Davis


Soziales Engagement gilt bei Musikern als populär. Um das Thema "Folter mit Musik" machen viele einen weiten Bogen. Das erkannte auch die Menschenrechtsorganisation "Reprieve". "Wir wollten die Aufmerksamkeit auf die psychologischen Techniken richten, die vom US-Militär und der CIA angewendet werden", sagt Chloe Davis von "Reprieve". "Denn diese werden immer als leichte Folter abgetan, ohne große Folgen. Jetzt wollen wir Musiker mobilisieren, um noch viel mehr Menschen zu erreichen, damit bekannt wird, was in diesen geheimen Gefängnissen geschieht.“


Ruhal Ahmed wurde im März 2004, nach zweieinhalb Jahren Haft, ohne Anklage, aber auch ohne Entschuldigung, aus Guantanamo entlassen. Er lebt bei Birmingham. "Ich kenne Leute, die waren in einem anderen Block, dem Delta-Block", sagt Ahmed. "Dort waren die Verrückten. Sie waren gesund, als sie nach Guantanamo kamen. Aber in den ein bis zwei Jahren meiner Zeit wurden sie in diesen Block gebracht. Denn sie wurden als schizophren diagnostiziert. Sie waren innerlich zerbrochen. Es hängt vom Einzelnen ab. Ich spürte auch, dass ich verrückt werden könnte, wurde es aber nicht. Vielleicht, weil ich jung war." FBI-Beamte waren über die Verhörmethoden derart besorgt, dass sie eine offizielle Untersuchung der Armee erzwangen. Alle Befragten bestätigten die Verwendung von lauter Musik. Das Ergebnis: Kein Verbot, sondern bessere Richtlinien für Musik-Folter.

                              

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